Das Werkstatt- und Teilegeschäft ist für Autohäuser unter drei Gesichtspunkten als Rückgrat zu bezeichnen. So dient dieser Geschäftsbereich gleichermaßen als Ertragssäule, als Stabilisator und als wichtiges Instrument zur Kundenbindung. Freie Werkstätten stehen aufgrund ihres nahezu deckungsgleichen Dienstleistungsportfolios im direkten Wettbewerb mit den markengebundenen Servicebetrieben. Dennoch zeigen sich sowohl anhand der durchgeführten Tätigkeiten als auch bei der Betreuung von Fahrzeugaltersklassen teils deutliche Unterschiede. Bei Betrachtung der Verteilung aller im Markt angefallenen Werkstattarbeiten auf die Anbietergruppen konnten freie Werkstätten in den vergangenen 30 Jahren deutlich an Marktanteil gewinnen. Diese positive Entwicklung darf jedoch nicht über die Verteilung von Umsätzen und Erträgen im Servicemarkt hinwegtäuschen. Einerseits werden komplexe und somit auch hochpreisige Werkstattarbeiten weiterhin vorrangig von markengebundenen Werkstätten umgesetzt. Andererseits wandern Fahrzeuge mit zunehmendem Fahrzeugalter von den markengebundenen in Richtung der freien Werkstätten ab. Diese Marktaufteilung sollte jedoch nicht als gesetzt verstanden werden. Die herstellergebundenen Akteure zeigen vermehrt Bestrebungen, die Fahrzeuge länger an sich zu binden und die Teilnahme von freien Werkstätten am Markt durch protektionistische Maßnahmen zu erschweren.

Regelungen zum Zugang zu Fahrzeugdaten entwickeln im Markt eine zunehmende Bedeutung für die Wettbewerbssituation. Der Zugang zu Daten, Ressourcen und Funktionen von vernetzten Fahrzeugen dürfte perspektivisch einen bedeutenden Einfluss auf die Realisierung von und die Partizipation an Geschäftsmodellen rund um die Mobilität haben. Konkret geht es beispielsweise um mittels Predictive Maintenance oder einer Remote-Diagnose erzeugte Informationen. Auf Basis dieser Informationen können den Fahrzeughalter:innen konkrete Reparatur- und Serviceangebote unterbreitet werden. Ebenso können beispielsweise Fahrzeugversicherungen unter Einbezug individueller personen- und fahrzeugbezogener Daten zielgerichtet angeboten und passgenauer konzipiert werden. Daher sind die Aktivitäten der jeweiligen Interessenverbände zur Absicherung eines Datenzugangs für die jeweils vertretene Akteursgruppe nachvollziehbar. Erhalten freie Werkstätten lediglich eingeschränkten oder in zeitlichem Versatz Zugang zu den erforderlichen Daten beziehungsweise Informationen, entsteht hierdurch ein wesentlicher Wettbewerbsnachteil.

Mehrere parallel stattfindende Entwicklungen üben in unterschiedlicher Intensität Veränderungsdruck auf die Geschäftsmodelle der freien Werkstätten aus. Sie setzen sich aus Veränderungen in den Dimensionen Technologie, Kunden- und Mobilitätsverhalten sowie Ausbildung und Demographie zusammen. Die Studie zeigt die damit verbundenen Herausforderungen und Potenziale in acht Treibern konsolidiert auf. Die Ergebnisse einer studienbegleitenden Online-Expertenbefragung konkretisieren zudem die Wirkungsstärke im Rahmen von 16 Einzelfaktoren, die wiederum inhaltlicher Gegenstand der acht Veränderungstreiber sind. Bei lediglich zwei Faktoren wird ein positiver Effekt auf das Servicemarktvolumen der freien Werkstätten prognostiziert: Zunahme des Anteils älterer Fahrzeuge und Zunahme verbauter Fahrerassistenzsysteme in den Fahrzeugen. Als besonders kritischer Engpass zur Erschließung des vorhandenen Servicemarktpotenzials wird die Verfügbarkeit von benötigten Fachkräften angesehen. Mit Blick auf das Servicemarktvolumen befürchten die Expert:innen starke negative Auswirkungen aufgrund rückläufiger Wartungs- und Reparaturintensitäten je Fahrzeug. Diese Einschätzungen sind maßgeblich auf die kontinuierliche Verbesserung der Standfestigkeit der Fahrzeuge, längere Wartungsintervalle, die zunehmende Elektrifizierung des Fahrzeugbestandes und eine rückläufige jährliche Kilometerfahrleistung zurückzuführen. Den letzteren Aspekt gilt es wiederum in einen engen Zusammenhang mit den Einschätzungen bezüglich eines veränderten Mobilitätsverhaltens in der Bevölkerung zu setzen.

Deutschlandweit machten im Jahr 2021 die 22.110 freien Werkstätten nahezu zwei Drittel der 36.570 Betriebe im Kfz-Gewerbe aus. Dort arbeiteten mit etwas über 105.000 Menschen allerdings weniger als ein Viertel der insgesamt rund 435.000 Beschäftigten. Demnach waren im Durchschnitt weniger als fünf Beschäftigte pro freien Betrieb tätig. Dies lässt auf eine große Zahl kleiner Werkstätten mit nur kleinem Personalstamm oder lediglich ein bis zwei Beschäftigten schließen. In den rund 2.400 freien Werkstätten in Baden-Württemberg sind rund 16.000 Menschen beschäftigt, gegenüber den rund 1.600 fabrikatsgebundenen Betrieben mit 62.000 Beschäftigten. Eine Analyse der geographischen Verteilung dieser Betriebe zeigt eine überdurchschnittlich hohe Präsenz in ländlichen Regionen. Die freien Betriebe versorgen also insbesondere den ländlichen Raum mit Dienstleistungen im Handels- und Werkstattbereich. Unter Bezugnahme auf die Hauptstudie „Beschäftigungseffekte im Kfz-Gewerbe 2030/2040“ (Herrmann et al. 2023) werden zur qualitativen und quantitativen Prognose der Beschäftigung im freien Markt drei Zukunftsbilder entworfen. Innerhalb des als Trendszenario bezeichneten Zukunftsbildes 2 kommt es bei den freien Werkstätten zu einem erheblichen Beschäftigungsrückgang. Deutschlandweit sinkt diese bis zum Jahr 2030 um rund 18 Prozent und bis zum Jahr 2040 um rund 36 P(jeweils gegenüber dem Jahr 2021). In Baden-Württemberg sinkt die Anzahl der Beschäftigten bis zum Jahr 2030 um rund 22 Prozent und bis zum Jahr 2040 um rund 38 Prozent. Bei den Jobprofilen Serviceberater:in, Leitung Teile und Zubehör sowie Lagermitarbeiter:in sinkt das Arbeitsvolumen besonders stark.

Der dynamische Wandel der Umweltfaktoren und Rahmenbedingungen, in dem sich die freien Werkstätten befinden, ist auf Betriebsebene häufig nur schwer beeinflussbar. Anders verhält es sich bei der Wahl von präventiven und reaktiven Maßnahmen, um den Veränderungen zu begegnen. Diese liegen zu großen Teilen im unternehmerischen Verantwortungs- und Einflussbereich. Führungskräfte in den Werkstätten müssen einerseits einen Rahmen schaffen, in dem sie mit höchstmöglicher Geschwindigkeit und komplexitätsreduziert auf operative Herausforderungen reagieren können. Andererseits ist der Fortbestand des Unternehmens mit einer längerfristigen Strategie abzusichern. Eine große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Festigung, besser noch der Stärkung der eigenen Wettbewerbsposition im Marktumfeld zu. Unternehmen müssen individuell entscheiden, inwiefern sie Wachstumspfade erschließen oder die aktuelle Wettbewerbsposition festigen wollen. In jedem Fall ist jedoch die Resilienz gegenüber den absehbaren Entwicklungen mit negativen Einflusspotenzialen auf das eigene Geschäftsmodell zu erhöhen. Hierzu müssen Werkstattverantwortliche ihr Markt- und Wettbewerbsumfeld individuell und stetig bewerten sowie individuelle Ziele spezifizieren. Die vorliegende Studie unterscheidet die vier grundsätzlichen Strategieoptionen internes beziehungsweise organisches Wachstum, externes Wachstum, Wachstum anhand Spezialisierung oder Marktaustritt (Exit) und gibt den Entscheider:innen im Rahmen von sogenannten „Toolboxen“ konkrete Ausgestaltungsoptinen zur Erschließung dieser Strategiepfade an die Hand. Inwiefern diese im Einzelfall geeignet sind, muss das Ergebnis eines unternehmensbezogenen Analyse- und Abwägungsprozesses sein (vgl. Kapitel 6).

Die Untersuchungsergebnisse lassen in der Gesamtschau folgern, dass der Servicemarkt auch künftig von sehr pluralisierten und ausdifferenzierten Wettbewerbsstrukturen geprägt sein wird. Auch wird der Servicemarkt weiterhin einen attraktiven Branchenzweig darstellen. In diesem werden freie Werkstätten ebenso einen festen Platz finden wie markengebundene Formate und Intermediäre. Im Rahmen der Online-Expertenbefragung wird aufgrund destechnologischen Wandels Spezialisten für neue Antriebe das größte Wachstumspotenzial innerhalb der kommenden Dekade eingeräumt. Zudem werden Intermediäre mit neuen Konzepten in den Markt drängen, z.B. Werkstattkonzepte der Versicherungen. Gleiches gilt für Automobilhersteller, die ihre Bestrebungen zur Intensivierung ihrer Aktivitäten im Servicemarkt ausweiten werden.

Die Ergebnisse der Expertenbefragung geben zudem Aufschluss, welche Handlungsfelder zur Absicherung des Servicegeschäftes von freien Werkstätten von Bedeutung sind. In diesem Zusammenhang wird der Absicherung der qualitativen und quantitativen Mitarbeiterverfügbarkeit die höchste Bedeutung beigemessen. Den zweiten Handlungsschwerpunkt bildet die Optimierung der Werkstattprozesse und der Kostenstrukturen. Innerhalb des Managementfeldes „Kund:innen“ empfehlen die Expert:innen, den Schwerpunkt auf die Erhöhung der Kundenzufriedenheit und die Bindung von Kund:innen zu legen. Der Neukundengewinnung wird eine vergleichsweise geringe Bedeutung zugemessen. Einer Verbesserung der Marketingkommunikation wird eine mittlere Bedeutung zugewiesen. Die niedrigste Relevanzbewertung verzeichnen die Managementfelder „Partner“ und „Leistungsprogramm“. Beide Felder sind inhaltlich eng miteinander verwoben. Entsprechend dem unternehmensindividuellen Leistungsprogramm wird der Einbezug von speziellen Partnern erforderlich. Ein für alle freien Werkstätten geeignetes Leistungsprogramm ist jedoch nicht benennbar. Aufgrund der sehr konkreten Handlungsoptionen in den beiden Managementfeldern ist die niedrige Relevanzbewertung auf aggregierter Ebene deshalb sachlogisch nachvollziehbar. Dies darf jedoch nicht über die Relevanz für die unternehmensindividuelle Betrachtung hinwegtäuschen.